Eine Reise durch Namibia

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Mit ihrer Gründung im Jahre 1990 ist die Republik Namibia der jüngste Staat Südafrikas. Der Name leitet sich von Namib ab, welcher "leerer Platz" bedeutet, und sich auf ein landschaftliches Kernstück des Staates bezieht: die Namibwüste. Hauptstadt und damit wirtschaftliches und kulturelles Zentrum ist Windhoek. In Namibia leben 2,1 Millionen Menschen (2010). Für das Land prägend ist die Vielfalt der Völker, wie San, Damara, Nama, Herero, Himba, Ovambo und Rehobother Baster.

Der Abflug in Frankfurt ist für den Abend angesetzt. Die Wege sind weit in den kargen, nummerierten Gängen, die Halle inzwischen weitgehend geleert. Es herrscht eine entspannte Atmosphäre. Die Sicherheitskräfte frotzeln: Ob man Terroristen jagen wolle. Nein, es ist der Parallelflug, nicht Kabul, sondern Namibia.
In der Luft bietet sich über Nordafrika ein Netz aus leuchtenden Punkten und Linien dar, später wird es schwarz. Auch bei der Ankunft herrscht Dunkelheit. In der Kälte rennen die Gestalten geduckt über das Rollfeld, geleitet durch eine Menschenstraße gelber Sicherheitswesten. Auch dies wird zu einem allgegenwärtigen Kennzeichen in Namibia: Aufgaben werden nicht mit einem Überbau an Technik und Material gelöst, sondern mit Personal.
Den Empfang bilden hinter großen Blöcken jene Damen und Herren, die nach einem Akt genauer Prüfung die Einreisegenehmigung gewähren. Mit einem Stempel, in den Reisepass hineingeknallt, zugeklappt und somit so verwischt, dass ihn keiner mehr entziffern kann, ist man offiziell und behördlich genehmigt eingereist.

Titus, der im Süden des Landes arbeitet, nahe des Fish River Canyon, erklärt: Skorpion- und Mäuselöcher, einen Ameisenlöwen, welche Pflanzen man essen kann, welche nicht. Beim Wolfsmilchgewächs ist selbst er vorsichtig. Sein Heimatdorf liegt im Ovamboland. Er braucht mit dem Zug zwei Tage, um es zu erreichen. Er spricht sieben Sprachen, sagt er. Sein Freund, der neben ihm geht, versteht kein Wort, lacht aber und nickt. Titus reibt sich den Magen und 7 freut sich, heut Abend gibt es Maisbrei, sein Leibgericht, "then I feel that I am in Africa".
Das Mädchen, das mit ihnen geht, gibt mir zum Abschied auf den Weg: "Say greetings to all your sisters and brothers. Tell them how beautiful our country is so that they come here and see." Sie glaubt mir nicht, dass ich keine Geschwister habe, schaut ungläubig, schüttelt immer wieder den Kopf.

Europa ist weit entfernt. Hier vergleicht man sich mit den Nachbarn. Vielleicht ist noch Südafrika ein bisschen besser, wackelt der Kopf bedächtig hin und her, vielleicht: aber nicht viel. Das ist der Stolz, der immer wieder durchklingt. Botswana, Zimbabwe, Angola, natürlich die Geschehnisse des eigenen Landes, das spielt in den Nachrichten eine Rolle. Europa und Amerika sind da nur Randnotizen und weit entfernt. Die Perspektive verschiebt sich.

Auf jedem Flecken Erde treibt man Handel: die Augen, die sich in der Menge vorbeischieben, die Münder, die zu den Augen gehören, die Hände. Eine Markenjeans, umsichtig aus einer Plastiktüte gezogen, wird zum Verkauf angeboten, Schlüsselanhänger liegen neben Spritzen mit unbekanntem Inhalt. In direkter Nachbarschaft befindet sich Essen, auf kleinen Küchen in großen Töpfen zubereitet, in Schüsseln stehend, dampfend. Auf dem Boden warten Holzschalen, ganze Tierherden, auch Giraffen von beeindruckender Größe. Touristenware. Dahinter Kartons, die Pappe eingeknickt, wellig, vom Staub umhüllt, die Aufschrift "Made in China". Eine Gruppe Himbafrauen sitzt auf dem Boden, eine von ihnen tippt gelangweilt in ein Handy. Fliegende Makalaninusshändler schwenken ihre Waren, sorgsam aufgereiht an Ästen, auch zusammengelesen Steine sind im Angebot. Daneben wird für Projekte gesammelt, nicht nur für die Kokosnusskinder, sondern auch für Michael Ballack. Die Füße stecken in billigen Plastikflipflops. Große Wanderschuhe, voller Stolz getragen, wohl von einem der Touristen erstanden, sind hier und da aufzufinden. Überall präsentieren insbesondere junge Männer Wollmützen auf dem Kopf - es scheint eine Art Mode zu sein. Ferner im Straßenbild gelbe Augen, ein lahmes Bein, ein Ausdruck von Unentschiedenheit, magere Gestalten in T-Shirts gehüllt, die abgewetzten Hemden locker von Luft durchwebt. Man kaut Biltong. Viele junge Menschen sind unterwegs. Bunter Stoff und erfindungsreiche Haarkunst, geflochten, mit allerhand Perlen verziert, ist überall zu entdecken. Am Happy Hair Salon sitzen sie dafür auf den allerorts so üblichen Plastikstühlen scheinbar für eine halbe Ewigkeit Schlange.
Das ganze Land ist unterwegs: Von allen Seiten nach allen Seiten hin unterwegs. An Zeit herrscht kein Mangel, auf der Suche nach einer Gelegenheit.

Man lacht in diesem Land gerne, ist ungezwungen, improvisiert. Diese Fröhlichkeit und Offenheit der Menschen ist ansteckend.
Hingegen: Mauern tragen in allen größeren Siedlungen Stacheldraht. Eingänge sind vergittert. Will man hinein, wird man zuerst vorsichtig beäugt. Wachmänner stehen überall: Sie beaufsichtigen Gebäude, Geschäfte, Parkplätze, öffentliche Räume. Auch die Baustelle eines riesigen Blocks aus Beton und Glas, welcher von einem Trupp Chinesen im Eiltempo errichtet wird. Am Einkaufszentrum ein Schild, darauf eine durchgestrichene Pistole. Nur durch eine Schleuse mit Ampelsystem betritt man die Bank.

Die Straße ist, bis auf einige geteerte Ausnahmen, ein Gebilde aus Sand-Kalk-Gemisch, mittels Salzwasser von einem Grader festgebacken. An ihrem Rand liegen verstreut Häuser, leicht zurückgesetzt und verborgen. Sie sind gebaut aus Dosendeckeln, Lehm, Welldächern, Blechen, Autoreifen, Tüchern. Davor magere Ziegen, bei denen sich die Knochen auf dem Rücken spitz abzeichnen. Der Boden unter ihren Hufen ist hart und fest. Auf einem Großteil des Landes wird "gefarmt". Man fragt: Hast du gutes Land? Hast du Wasser?
In der Weite winden sich Fahnen aus Staub empor, hängen still geschraubt gleichsam ewig in der Luft. Am Straßenrand Menschen, immer wieder Menschen. Eselskarren buckeln vorbei. Auf der Ladefläche eines Wagens, der kein weiteres Vertrauen wecken würde, stehen dicht an dicht Ziegen, mit den Augen rollend und meckernd. Die feinen Ohren drehen wild durch die Luft.

Am Rand immer wieder vereinzelte Bäume, die Krone verzweigt, oder gleich einer Kerze in den Himmel ragend, die Rinde mal schuppig, mal glatt, auch dornig. An den Zweigen hängen Nester der Webervogelsiedlungen. Dazwischen ragen rote Termitenhügel auf, die Spitze nach ausgeklügeltem System gen Norden zeigend, so im Winter Wärme, im Sommer Kühle erhaltend.
Mitten in der Landschaft ein Kuriosum: Ein blitzblank geputztes Toilettenhäuschen, mit allem ausgestattet, sogar ein sorgfältig aufgehängtes Handtuch fehlt nicht. Rachel fuhrwerkt stolz mit dem Lappen in jede Ritze, als könnte da noch ein winziger Funken Staub sein.

Die Farben Namibias sind die der Erde: ocker, braun, schwarz, gelb, orange, rot, staubgrau, violettgrau, graugrün. An vielen Tagen ist alles fahl-pastell, auch der Himmel.
Die Landschaft ist an manchen Stellen gar karg, aber nie monoton. In der Weite entfaltet sich die Vielfalt der Formen. Die Struktur der Felsen ist mal wild zerklüftet, mal wollsackverwitternder Granit, mal spitz aufgetürmt gleich einer Mondlandschaft, hingegen großflächig angeschichtet am Sesriem Canyon. Es ist die Größe, die es ausmacht und doch so irreal wirkt wie am Fish River Canyon. Es ist immer wieder die Form, die spielend alles ausprobiert.

Dann: Die Welt der Tiere ist eine Welt der Stille, die entdeckt werden muss. Kilometerweit Dickicht, vereinzelt schmale Pfade, in den Boden gezeichnet, eine weiß irisierende Salzpfanne. In den Ästen lebhaft bunte Vögel, opalisierende, irisierende, changierende Tupfer. Zwischendurch verbrannte Erde, schwarz verkohlt auch die kahlen Äste, sich verwinkelt in den fahlblauen Himmel stemmend. Dazwischen leuchten bereits wieder gelbrunde Früchte auf.
Warzenschweine wühlen die Erde nach Zwiebeln auf. Herden von Elefanten, Zebras, Giraffen und Gnus kreuzen den Weg, kleben am Horizont, auch Antilopen, winzig gelb. Es herrscht ein vorsichtiges Tasten, Prüfen, Bewerten, ein stilles Trappeln der Hufe. Dann eine Löwenjagd, erfolgreich. Staub wirbelt auf. Die Herde steht da, schaut zurück, zieht dann weiter.
Ein Elefant nimmt im Sonnenuntergang ein Sandbad. Die Luft glüht orange, die Kontur verschwimmt, wird doppelt, schließlich ist das Tier gar nicht mehr zu erkennen. Man hört das Wedeln der großen Ohrlappen, ein leises Klatschen, dann einen tiefen Trompetenstoß, der alles zu durchdringen scheint.

Durch Granit in Sandstein graviert sind in Twyfelfontein menschliche Fußspuren, Springbock- und Gnufährten, ein Wüstenelefant, Giraffen für den Regen, Wasserlöcher. Die Felszeichnungen dienten zugleich als Landkarten für umherziehende Jägergruppierungen.

In der Namib reiht sich Sicheldüne an Sicheldüne, endlos bis zum Horizont, eine Unendlichkeit. Gleich einem gefrorenen Meer türmen sich die Wellen immer höher auf, von der Dünung sanft gewogen, mit Kämmen, die sich brechen. Dann ist es doch wie in Zeitlupe. Es bewegt sich, unaufhörlich rieselnd. Die wilden Wellen kräuselt der Wind, weht über die Kante in sanften Strömungen. Und doch schlagen die wenigen kleinen Körner wie Nadelstiche ein. Der Dünenkamm schneidet scharf in den blauen Himmel. Alles ist Linie. Der Sand leuchtet dunkelrot, dann fahlrot, schließlich ockern. Auch der Schatten wandert aus dem Dunklen, wird blau, dann violett, immer kleiner, bis er nur noch am Kamm klebt und dann ins Nichts hüpft. Die Düne knirscht beim hinablaufen. Im Tal weiß-grauer Lehmboden, hart und unverrückbar festgebacken in der Senke. Er bildet runde Muster. Schwarze Baumstämme winden sich empor, stumme, klagende Zeugen. Im Westen des Landes stürzt sich die Namib nahtlos ins salzige Meer.

In der Seerobbenkolonie liegen Kolosse mit schwerem Pelz dicht an dicht, gleich einer Schafherde blökend. Nur der böige Wind lässt tief durchatmen und treibt gleichzeitig die Gicht des Meeres durch die Luft. Die Sonne lässt das Wasser aufglitzern. Im Wasser dann wirbelnder Schaum, die Köpfe glitzernd, sich drehend, windend, Meister der Elemente. Ein kurzer Moment - die Augen groß, rund und nass, die Haare an der Schnauze zitternd - pfeilschnell in die Tiefe abgetaucht.
An Land nur vom Seenebel lebend findet sich die Welwitschia mirabilis, hier endemisch.
Ein junger Flamingo will weg vom Ufer, zurück zum Gewimmel seiner Artgenossen. Er stakst tapsig auf seinen langen Beinen. Die Böen werfen ihn beinahe um. Ans Ziel kommt er nur durch einen weiten Bogen. Der Wind schlägt die Worte aus dem Mund.

In der Nähe befindet sich die Industrie der Walvis Bay. Es qualmt, Dieselmotoren tuckern, ranziges Öl treibt vorbei und es riecht nach Fisch. Spuren industrieller Tätigkeit sind am Wegesrand in Namibia überall zu finden, vor allem Bergbau: Aus der Ferne vereinzelt Uranminen, die das yellow-cake produzieren, auch eine Lederfabrik. Felle werden hier verarbeitet, gegerbt und gefärbt. Der Geruch von roh gewaschenem Leder zieht durch die Produktionshalle. An einem kleinen Tisch sitzt der Vorarbeiter, sortiert die Unterlagen, schreibt, die Zigarette im Mundwinkel hängend, und prüft stumm die Qualität der Zebrafelle. Zwei Männer in blauer Arbeitsmontur führen sie ihm in einer schier endlosen Kette vor. Dahinter sitzen Frauen an ihren Nähmaschinen, machen Handtaschen und allerlei.

Die Geisterstadt ist das was blieb von einstigen Menschen, die in der Mitte des Nichts siedelten, um in der Erde nach Diamanten zu graben. Ausgerüstet mit einem Theater, einer Gymnastikhalle und einer Eisfabrik verströmt sie morbiden Charme, eine Ästhetik des Verfalls. Sand kriecht durch zerbrochene Fensterrahmen, die Farbe gesplittert. Eine Treppe führt in das Ruinenskelett, dort bröckelnde Tapete, ein rostiger Stromzähler, eine Keramikbadewanne.

Der Sternenhimmel ist ein Meer von weißen Punkten und milchigen Schemen im Dunkeln, dazu das Gluckern der Perlhühner, ein Zirpen in der Wärme.

Seeheim-Jugenheim 2010


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